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Europäischer Depressionstag: „Mindestens jeder 10. Mensch ist im Laufe seines Lebens von einer behandlungsbedürftigen Depression betroffen“ : Datum:

Das Team vom Forschungsvorhaben INNOVADE entwickelt ein Antidepressivum, das nicht nur schneller wirken, sondern die bisher bekannten Nebenwirkungen auch umgehen kann. Prof. Dr. Claus Normann berichtet über den aktuellen Entwicklungsstand.

Eine Depression beeinflusst das Denken und Handeln tiefgreifend und bringt Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen mit sich. © Adobe Stock / K.A./peopleimages.com

Prof. Dr. Claus Normann ist Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg und leitet dort die Sektion Psychopharmakotherapie. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Erforschung von psychiatrischen Erkrankungen, speziell der Depression. Das Forschungsvorhaben INNOVADE wird im Rahmen der GO Bio initial-Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Prof. Dr. Normann, was ist eine Depression und wie häufig kommt sie vor?

Eine Depression ist eine sehr ernste psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen an schlechter Stimmung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen leiden. Sie können sich häufig über nichts mehr freuen, sich schlecht konzentrieren und sind manchmal auch suizidgefährdet. Mindestens jeder 10. Mensch ist im Laufe seines Lebens von einer behandlungsbedürftigen Depression betroffen, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Wir gehen davon aus, dass innerhalb eines Jahres mindestens fünf Millionen Menschen in Deutschland an einer Depression erkranken. Die Erkrankung verursacht nicht nur enormes Leid für die Betroffenen und deren Angehörige, sondern auch großen volkswirtschaftlichen Schaden, vor allem durch Arbeitsausfälle.

Wie entsteht eine Depression und was sind die häufigsten Ursachen?

Die meisten Betroffenen erkranken erstmals im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt. Bei der Entstehung einer Depression spielen genetische und umweltbedingte Ursachen zusammen. Manche Familien sind von Depressionen besonders häufig betroffen, was auf eine genetisch bedingte Anfälligkeit hinweist. Gleichzeitig finden sich jedoch vor Beginn einer Depression sehr häufig äußere Belastungsfaktoren, wie zum Beispiel Arbeitsplatzverlust, Trennung, Auszug aus dem Elternhaus oder Berentung. Die genauen neurobiologischen Ursachen der Depression sind jedoch unklar. Eine Depression wird im Gespräch diagnostiziert. Es ist nicht möglich, sie zum Beispiel durch eine Bildgebung des Gehirns oder durch Laborwerte zu bestätigen. Auch genetische Untersuchungen helfen dabei nicht weiter.

Welche Behandlungsformen gibt es für Patientinnen und Patienten, die an einer Depression erkrankt sind?

Bei leichten Verlaufsformen der Depression reicht es häufig abzuwarten und eine mitfühlende Begleitung der Betroffenen. Bei schwereren Verlaufsformen werden vor allem psychotherapeutische und medikamentöse Methoden eingesetzt. In psychotherapeutischen Gesprächen wird versucht, auslösende Probleme zu finden und an einer Lösung zu arbeiten. Bei vielen Betroffenen finden sich auch bestimmte depressionsfördernde Denkmuster und negative Erfahrungen beim Aufwachsen. Antidepressiva führen bei 2/3 der Betroffenen zu einer Besserung oder zum kompletten Verschwinden der Depression, brauchen aber mehrere Wochen, bis sie wirken. Besonders wirksam ist eine Kombination aus psychotherapeutischen und medikamentösen Methoden.

Sie haben in Ihrem Projekt INNOVADE eine neue Gruppe von Antidepressiva identifiziert. Können Sie uns hierüber mehr berichten?

In unserer Arbeitsgruppe untersuchen wir seit vielen Jahren die sogenannte „Neuroplastizitätshypothese“ der Depression, die davon ausgeht, dass es bei einer Depression zu einer Fehlregulation der Informationsverarbeitung im Gehirn kommt. Sind Menschen starkem Stress ausgesetzt, schottet sich das Gehirn von der Speicherung weiterer Information ab. Das kann eine sehr sinnvolle Reaktion sein, scheint sich jedoch bei Depressionen zu verselbstständigen, so dass die depressiv Erkrankten in negativen Grübelschleifen gefangen sind. In unseren Arbeiten konnten wir sowohl am Menschen als auch im Tiermodell die neurobiologischen Ursachen dieser gestörten Informationsverarbeitung zeigen. Wir konnten eine neue Bindungsstelle von Antidepressiva identifizieren, die diese Veränderung im Gehirn rückgängig machen kann. Dabei handelt es sich um einen Rezeptor für den Überträgerstoff Glutamat.

Wie unterscheiden sich diese von den bisherigen medikamentösen Behandlungsoptionen?

Fast alle bisher verfügbaren Antidepressiva erhöhen die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Gehirn. Die von uns entwickelten Medikamente haben mit Serotonin nichts zu tun. Deshalb ist zu erwarten, dass sie auch nicht die Nebenwirkungen der bisherigen Medikamente aufweisen, wie zum Beispiel Unruhe oder Impotenz. Außerdem könnten sie sehr viel schneller wirken als die bisherigen Antidepressiva, die Wochen brauchen, bis es zu einer Besserung kommt. Wir erhoffen uns auch, dass sie bei mehr Menschen wirken als die bisherigen Antidepressiva.

Welche nächsten Schritte haben Sie in Ihrem Projekt geplant?

Bisher haben wir in Tiermodellen der Depression zeigen können, dass die Substanzen wirksam sind und ihren genauen Wirkmechanismus beschrieben. Es ist nun geplant, mit Hilfe der GO-Bio-initial-Förderung erste Sicherheitsstudien, zunächst an Tieren, durchzuführen, um danach die klinische Entwicklung beim Menschen beginnen zu können. In Zusammenarbeit mit anderen internationalen Arbeitsgruppen versuchen wir weitere Medikamente zu identifizieren, die auf ähnlichen Überlegungen zu ihrer Wirksamkeit beruhen, und deren Entwicklung voranzubringen.

Weiterführende Informationen

https://www.uniklinik-freiburg.de/psych/forschung-research/research-groups/rg-normann-vestring.html